Das Kleine Schneeglöckchen

Galanthus nivalis

Abb. 1 Verwilderte Schneeglöckchen (Galanthus nivalis) zwischen Efeuranken in einem Garten in Bilk / Foto: Brigitte Steinke
Abb. 1 Verwilderte Schneeglöckchen (Galanthus nivalis) zwischen Efeuranken in einem Garten in Bilk / Foto: Brigitte Steinke

Das neue Jahr wird bereits von einigen Pflanzen geziert, die nicht von Wind betäubt werden. Dazu gehört, neben winterharten Primelarten, dem Winterling und frühen Krokussen, natürlich das Schneeglöckchen. Es gilt als Sinnbild für den Beginn eines neuen Pflanzenjahres. Seine Blüten schauen gerne mal aus einer Schneedecke hervor. Sie sind relativ frostresistent – eine seltene Ausnahme. Damit eine bei Sonnenschein vorbeiziehende Biene sie vor lauter Weiß im Schnee ja nicht übersieht, reflektieren die Blütenblätter ultraviolettes Licht. 


Der Wissenschaftliche Name Galanthus bedeutet Milchblüte und stammt aus dem Altgriechischen. Der Artname „nivalis“ der bei uns beheimateten Art kommt unserer Bezeichnung für die Pflanze schon näher; er leitet sich nämlich vom lateinischen Wort für Schnee ab. Das Kleine Schneeglöckchen wurde in der Roten Liste als gefährdet eingestuft. Es ist damit in Deutschland besonders geschützt. Allerdings ist diese Einstufung fraglich, weil kein Mensch weiß, ob es sich bei Funden in der Natur um Gartenflüchtlinge (Abb. 1) oder natürliche Bestände handelt. Unschön ist, dass sich mittlerweile auch andere Arten ausbreiten und es zu Kreuzungen kommen kann.

 

Wie viele andere Zwiebelpflanzen auch, gehören Schneeglöckchen zur Familie der Narzissengewächse (Amaryllidaceae). Es gibt ca. 20 Arten. In Mitteleuropa bis hin zur Westukraine ist aber nur Galanthus nivalis heimisch. Es ist eine Waldpflanze, wobei es lehmhaltige Au- und Bruchwälder bevorzugt, die feucht und nährstoffreich sind. Dort steht es meist in größeren Gruppen; ein Resultat der Bildung von Tochterzwiebeln aus den Mutterzwiebeln.

 

Charakteristika

 

Das Kleine Schneeglöckchen wird meistens bis 15 cm hoch, manchmal wird auch das Doppelte erreicht. Vom Boden aus erheben sich aus einer papiernen Scheide heraus zwei, manchmal drei schmale, linealische Blätter, zwischen ihnen der Blütenschaft. Die Blätter sind blaugrün, bereift und weisen, wie alle Narzissengewächse, parallele Blattnerven auf.

 

Ein Unterscheidungsmerkmal zu ähnlichen Pflanzen, wie z.B. der Knotenblume ist, dass es pro Stängel immer nur eine Blüte gibt. Wenn der Stängel sich in die Höhe streckt, ist die Blütenknospe noch von einer zweiblättrigen Hochblattscheide eingehüllt (Abb. 2). Sie wirkt wie grün eingefasstes Milchglas. Stimmen die inneren und äußeren Bedingungen, durchstößt die Knospe die Scheide zunächst an der Spitze. Dann schält sie sich aus ihrer Hülle heraus. Diese bleibt erhalten und schützt dann die Blüte von oben. Die von der Scheide aufrecht gehaltene Blüte kippt beim Herauskommen. Ihr Stiel viel zu schwach, um sie zu halten. 

Abb. 2 Blütenknospen von Galanthus nivalis in verschiedenen Stadien und noch geschlossene Blüten / Foto: Brigitte Steinke
Abb. 2 Blütenknospen von Galanthus nivalis in verschiedenen Stadien und noch geschlossene Blüten / Foto: Brigitte Steinke

Das „Glöckchen“ wird aus einem inneren Blütenblattkranz aus drei verwachsenen und einem äußeren Blütenblattkranz aus drei freien Kronblättern gebildet (Abb. 3a). Auf der Innenseite sind die Glöckchen grün gestreift. Sie enthalten 6 Staubblätter mit langen, zunächst kegelförmig zusammenstehenden Staubbeuteln und einem Griffel in der Mitte. Die Blüte von Abb. 3a muss schon einmal von einem Insekt besucht worden sein, weil die Staubgefäße nicht mehr zusammenstehen und anscheinend auch bereits den meisten Pollen verloren haben.

Um an den wenigen Nektar gelangen zu können, der tief in der Blüte versteckt ist, müssen die Insekten einen Rüssel von mindestens 7 mm haben. 

Fotos: Brigitte Steinke

Abb. 3a Die Blüte besteht aus zwei Blütenblattkränzen         Abb. 3b Durch das Anknabbern der Blütenblätter

mit je 3 Kronblättern.                                                                             wurden die kegelförmig zusammengedrängten,                                                                                                                                           orangenen Staubbeutel freigelegt (keine G. nivalis). 

Die grünen Zeichnungen auf den Zipfeln der inneren Blütenblätter sind Duftmale, die ihre Bestäuber, früh aktive Bienen oder Schmetterlinge, anlocken sollen. Die V-Form (Abb. 4) ist charakteristisch für die Art Galanthus nivalis und ein Bestimmungsmerkmal.

Abb. 4 Die v-förmigen Duftmale auf den inneren Blütenblättern von Galanthus nivalis sind besonders im aufgeblühten Zustand gut zu erkennen. Foto: Kathy Büscher - NABU
Abb. 4 Die v-förmigen Duftmale auf den inneren Blütenblättern von Galanthus nivalis sind besonders im aufgeblühten Zustand gut zu erkennen. Foto: Kathy Büscher - NABU

Das Glöckchen ist unter dem meist rein weißen äußeren Blütenblattkranz anfangs etwas versteckt. Ist die Pflanze voll aufgeblüht, stehen die drei freistehenden Kronblätter, die doppelt so lang sind wie das Glöckchen, weit ab. Galanthus nivalis kann sich gegen Ende der Blütezeit selbst befruchten. Das ist sicherlich der frühen Blütezeit geschuldet und nützlich, wenn aus Witterungsgründen zu wenig oder keine Bienen unterwegs sind. Sicher ist sicher. Das längliche, grüne Etwas am Blütenblattansatz ist der Fruchtknoten. Man nennt diese Lage „unterständig“.

 

Die Frucht des Schneeglöckchens ist eine Kapsel. Am Ende der Blütezeit im März neigt sich der Stängel samt Kapsel zum Erdboden. So können die Samen in Bodennähe entlassen werden. Die vielen Samen sind mit Anhängseln, Elaiosomen genannt, versehen, deren Funktion schon bei anderen Pflanzen beschrieben wurde. Es sind eiweißreiche Strukturen, die mit den Samen von Ameisen in deren Nester geschleppt werden. Diese fressen nur das Elaiosom, den Samen transportieren sie wieder hinaus und tragen so zur Verbreitung der Schneeglöckchen bei.

 

Die Zwiebeln sind Teil der Sprossachse. Sie sind unterirdische, fleischig verdickte Blätter, deren Funktion ist, Nährstoffe für den Winter zu speichern. Die Wurzeln entspringen unter den Zwiebeln. Durch Teilung tragen auch die Zwiebeln zur Vermehrung der Pflanzen bei.

 

Alle Schneeglöckchenarten enthalten als Inhaltsstoffe die Alkaloide Galantamin und Lycorin, die für den Menschen als mäßig giftig gelten, für andere Säugetiere dagegen als sehr giftig. In den Zwiebeln ist besonders viel der Alkaloide enthalten – wohl als Fraßschutz.

 

Galantamin ist ein arzneilich wirksamer Stoff. Es wurde zuerst aus dem Kaukasischen Schneeglöckchen isoliert. Für die industrielle Nutzung wurde jedoch die Gelbe Narzisse herangezogen; sie ist ergiebiger. Galantamin wird „gegen die Symptome einer leichten bis mittelschweren Demenz vom Alzheimer-Typ eingesetzt“. Es verbessert die Reizübertragung im Gehirn (Acetylcholinesterase-Hemmer). Da der Gehalt natürlicher Wirkstoffe in Pflanzen je nach Wachstumsbedingung stark variiert, was für die Verarbeitung schwierig ist, wurde bald auf eine synthetische Herstellung des Galantamin umgestellt. Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Wirkstoff in der genannten Funktion verschreibungspflichtig ist und die Herausgabe ausschließlich von Mediziner/innen und Apotheker/innen erfolgen darf.

 

Erfreuen wir uns doch lieber noch eine Weile an den blühenden Schneeglöckchen in den Gärten, Parks und sonst wo, sie blüht ja nur zwei Monate lang. Andere Zwiebelpflanzen befinden sich aber bereits in ihren Startlöchern.


 Quellen:

Bochumer Botanischer Verein:                                                                                                          

https://botanik-bochum.de/pflanzenbilder/Galanthus_nivalis.htm            

Bundesamt für Naturschutz:                                                                                                                    

FloraWeb - Artinformation            

Gebrauchsinformation Galantamin-Produkte:

https://portal.dimdi.de/amguifree/am/searchresult.xhtml