Die Elster, mein Lieblingsvogel

Bericht von Alfred Leisten

Elster
Elster / Foto: Wolfgang Scholz

Warum gerade die Elster? Diese Frage musste ich oft beantworten. Aber aufgrund meiner mehrjährigen Erfahrung mit einer von mir aufgezogenen Elster bin ich überzeugter Fan dieses besonders schön gefärbten Singvogels. Ja – die Elster gehört zur Unterordnung der Singvögel und zur Familie der Rabenvögel. Meine Erlebnisse mit diesem Vogel könnten ein Buch füllen, denn er gehört zu den Vögeln mit dem höchst entwickelten Gehirn. Er ist sehr neugierig und ein Überlebenskünstler in der Stadt. Wer einer Elster keinen Verstand zubilligt, sollte sich nur längere Zeit mit dieser höchst interessanten Art beschäftigen. Ich hatte 1,5 Jahre Gelegenheit diesen Vogel näher kennenzulernen.


Als Schuljunge wurde mir ein Nestling übergeben, der gerademal kleine Federkiele ausgebildet hatte. Die Fütterung gestaltete sich einfacher als gedacht. Sobald ich den Stall öffnete, worin sie in einem separaten Kaninchenstall untergebracht war, wurde der Schnabel weit aufgerissen und ich konnte mit Insekten, Raupen, Würmer und Ei die erste Zeit überbrücken. Später wurde die Nahrungsbeschaffung immer einfacher, denn die Elster ist bekanntlich ein Allesfresser mit großem Nahrungsspektrum. Da sich der Vogel prächtig entwickelte konnte ich die Elster bald frei fliegenlassen und siehe da, sie kam immer freiwillig zurück, setzte sich wie gewohnt auf meine Schulter, ließ sich kraulen und in den Stall zurücksetzen.

 

Die Elster wusste genau wann Markttag war. Hier wurde sie mit der Zeit ein bekannter Tagesgast. Gern schlich sie sich unter den Verkaufsteken an und zupfte den Kunden die Schnürsekel auf oder zwickte in die Socken. Erschrockene Fußtritte wich sie geschickt aus. Dies geschah nur, wenn sie genug gefressen und ausreichend Vorrat versteckt hatte. Denn Elstern gehören zu den futterhortenden Vogelarten. Diese Verstecke finden sie mit erstaunlicher Sicherheit wieder.

 

Abends wollte sie zurück auf ihren Platz im Stall. Dann saß der Vogel auf irgendeinem Dach in der Umgebung und wartete auf mich. Ich hatte herausgefunden, dass meine Elster sehr gerne badete. So kam es zu einem allabendlichen Ritual indem ich eine Waschschüssel mit Wasser in den Händen hielt und die Elster sich aus großer Höhe ins Wasser stürzte. Danach nahm sie ein ausgiebiges Bad. Dieses Schauspiel wurde öfter von Zuschauern mit großer Freude verfolgt (es gab ja noch kein Fernsehen). Das ich ja auch immer eine gehörige Portion Wasser mit bekam, sorgte für noch mehr Gelächter.

 

Nun kam die Lehrzeit. Das bedeutete 8 Stunden Abwesenheit und wenig Zeit für meine Elster. Da kam jemand zu mir und zeigte großes Interesse an diesen Vogel. Er hatte einen großen Garten mit Volliere. Ich stimmte einem Tausch zu und erhielt zwei Wellensittiche.

 

In der Volliere angekommen sorgte die Elster erst einmal für „Ordnung“ und zeigt wer hier der zukünftige Chef ist. Es kam zu Zerstörungen und Verluste bei den Mitbewohnern. Danach wurde die Elster separiert und auch zeitweise freigelassen. Hier zeigte der Vogel was er alles kann. Es wurden Klammern von Wäscheleinen gezupft, Tulpenzwiebeln und Blumenpflanzen ausgebuddelt. Eines Tages hatte sie eine geklöppelte Tischdecke entdeckt, die auf einer Leine zum Trocknen hing. Hier passte ihr wohl das künstlerische Lochmuster nicht und sie kreierte ihre eigenen Vorstellungen. Das Ergebnis war: Sehr großer Ärger auf beiden Seiten. Von da an hörte ich nichts mehr von meiner Elster; ich wollte wohl auch nicht nachfragen.

 

So manches ist mir damals klar geworden, Elstern sind sehr neugierig, wenn etwas interessiert wird es sogleich untersucht. Sie gehen sehr schlau zu werke, wenn es ums Fressen geht. Sie plündern auch Nester, besonders Amselnester, um Ihren Nachwuchs mit energiereicher Nahrung zu versorgen. Aber eines wurde auch ganz klar, die diebische Elster, die systematisch Schmuck oder Glänzendes stiehlt, ist eine Legende!

Text und Fotos: Alfred Leisten

15.09.2020